Auf der Suche nach der Kristallkugel: Mythen über Absatzprognosen beseitigen
Oct 8, 2010 • 5 minVerkaufsprognosen gelten in vielen Unternehmen als schwierige und unangenehme Pflicht. Zum Erstellen von Prognosen bedarf es jedoch keines Genies. Zur Unterstützung gibt es effiziente und nutzerfreundliche Hilfsmittel. Eine der größten Herausforderung bei der Entwicklung des Prognosewesens scheint heutzutage eher die Motivation der Mitarbeiter zu sein. Es ist Zeit, einige Mythen über Verkaufsprognosen zu beseitigen!
In vielen Unternehmen habe ich reelle und imaginäre Probleme und Einstellungen bezüglich Prognosen erfasst, von denen einige samt Lösungsvorschlägen im Folgenden aufgelistet sind.
„Prognosen sind unnütz, da sie sowieso fehlschlagen“
Ich habe ein Unternehmen besucht, das Konsumgüter herstellt. Der für das Lieferkettenmanagement zuständige Leiter stellte mir die Aktivitäten sowie die Produktionslogik des Unternehmens vor. Auf meine Frage, wie das Prognosewesen des Unternehmens organisiert ist, antwortete der Leiter: „Wir verwenden keine Prognosesysteme. Die Prognosen schlagen sowieso fehl, so dass wir lieber auf Flexibilität setzen.” Flexibilität bedeutet in diesem Fall, dass der Lagervorrat dem Absatz von mehreren Monaten bis zu einem Jahr entspricht. Flexibilität hört sich gut an, ist jedoch wie viele andere gut klingenden Dinge nicht umsonst.
In einem Großteil der Unternehmen werden mit Hilfe von Prognosen Beschaffung, Produktion, Fertigproduktlager und Kapazitäten gesteuert. Die Prognosegenauigkeit wirkt sich also direkt auf die Geschäftseffizienz und das Serviceniveau aus. Eine geringere Prognosegenauigkeit würde sicher auch dem Zweck gerecht werden, aber in diesem Fall muss man auf die Nachfrageunsicherheit mit einem Reservebestand vorbereitet sein. Dieser Reservebestand besteht aus:
- Waren, d h. übermäßig große Vorräte an Produkten, die möglicherweise veraltern,
- Zeit, d. h. teure Expressbestellungen, wenn die Nachfrage überraschend hoch ist, und/oder
- Kapazität, d. h. Investitionen in Anlagen und Personal, um auf eventuelle, überraschende achfragespitzen vorbereitet zu sein. Diese Kapazitäten bleiben in ruhigeren Zeiten ungenutzt.
Natürlich sollte Flexibilität entwickelt werden, aber was ist letztendlich wirtschaftlicher? Vielleicht doch ein Arbeitsaufwand von einigen Stunden pro Woche für die Prognosenerstellung oder sogar die Anschaffung von zweckgerechten Werkzeugen?
„Warum sollte ich Prognosen erstellen, die doch keiner nutzt?”
In vielen Unternehmen werden Prognosen in fast allen Bereichen der Organisation für verschiedene Zwecke erstellt oder je nach Perspektive abgeändert. Auch wenn es nur eine offizielle Verkaufsprognose gibt, kann diese nach und nach geändert oder unterschiedlich interpretiert werden. Eine typische Situation ist, dass die Produktion gelernt hat, sich nicht mehr auf die überoptimistischen Prognosen der Marketingabteilung zu verlassen. In einem Unternehmen wurden die Produktionsprognosen mit einer Excel-Tabelle erstellt, die automatisch die Mengeneinschätzungen der Marketingabteilung um 20 % kürzten. Es ist nur allzu verständlich, wenn Personen, die viel mit Zahlen umgehen, Zweifel hinsichtlich Sinn und Zweck des Ganzen haben.
Es scheint logisch, dass die Produktion über schlechtere Voraussetzungen verfügt, den künftigen Absatz vorauszusagen, als der Verkauf. Wie kommt man also aus einer Situation heraus, in der Beschaffung, Produktion oder Lager meinen, sie müssten sich selbst um die Steuerung der Prozesse kümmern? Meinen Erfahrungen zufolge haben Unternehmen mit einem funktionierenden Prognosewesen zwei Dinge gemeinsam: deutliche Prognoseverantwortlichkeit und ständiges Prognosemonitoring.
Das Monitoring ermöglicht, aus Fehlern zu lernen. Dies setzt wiederum Motivation voraus, die ihrerseits mit der Verantwortung einhergeht. Oft wird davon ausgegangen, dass die Prognoseverantwortung in Verbindung mit dem Wer, Wie und Wann der Prognosenerstellung festgelegt wird. Wer, Wie und Wann ist jedoch nur eine Handlungsbeschreibung, die nichts mit Verantwortungsfestlegung zu tun hat. Die Prognoseverantwortung ist erst dann eindeutig, wenn der Prognoseersteller die Verantwortung für die Folgen der von ihm erstellten Prognosen trägt, d. h. für eventuelle Überproduktion, Warenmangel oder das Fehlschlagen von Kampagnen, die zu spät in den Prognosen berücksichtigt wurden. Solange sich die Kritik bei Überbeständen von Verpackungsmaterial (die entsprechend der Verkaufsprognosen angelegt wurden) an die Beschaffungsabteilung oder bei Überproduktion von Produkten an die Produktionsabteilung richtet, werden kluge Einkäufer oder Produktionsleiter die Prognosen nach eigenem Ermessen korrigieren.
„Woher kann ich wissen, wieviel Stück von einem Kampagnenartikel abgesetzt werden?“
Ein fiktives Beispiel: Ein Verkäufer wird um eine Absatzeinschätzung für die kommende Kampagne gebeten. Er antwortet: „Es ist ein hoher Absatz zu erwarten!“ Auf die Frage nach detaillieren Absatzzahlen, die für die Produktionsplanung benötigt werden, antwortet er ungeduldig: „Woher soll ich dass wissen? Das könnt ihr selber kalkulieren, ihr besitzt mehr Informationen als ich!“ Warum ist der besagte Verkäufer nicht nur unhöflich, sondern auch inkompetent? Weil er mit dem Kunden eine bedeutende Verkaufsmaßnahme vereinbart hat, für die er jedoch keine konkreten Ziele gesetzt oder deren Risiken er in keiner Weise eingeschätzt hat. Zum Glück gibt es solche Verkäufer nur selten, oder? Im Laufe meiner Karriere habe ich schon unglaublich viele Situationen erlebt, in denen Maßnahmen (Produkteinführungen, Kampagnen, Bestellungen von Saisonprodukten) ohne Zielstellung realisiert wurden. Ohne Zielstellung ist es schwierig, die Auswirkung der Maßnahmen zu verfolgen, was wiederum dazu führt, dass aus früheren Maßnahmen keine Lehren gezogen werden und Jahr für Jahr routinemäßig Mittel aufgewendet werden, um die gleichen Fehler zu machen.
In den besten Unternehmen ist das Prognosewesen ein fester Bestandteil einer kompetenten Verkaufsplanung. Bei der Planung der Realisierung der Verkaufsziele (Produkte, Maßnahmen, Kunden) entstehen automatisch erste Prognosen. Die Prognosen müssen natürlich mit zunehmender Realisierung der Pläne regelmäßig aktualisiert werden, was einfacher ist, wenn die Richtlinie schon vorgegeben ist.
Und das vorher erwähnte Modell hebt wirkungsvoll das Hauptargument gegen Prognoseverantwortlichkeit auf: „Wenn ich Zeit für Prognosen aufwenden muss, beeinträchtigt dies meine Kunden- und Verkaufsarbeit“. Prognoseerstellung geht nicht vom Verkauf ab, sondern schafft, richtig durchgeführt, die Voraussetzungen für einen gewinnträchtigen Absatz!
„Unsere Nachfrage ist so spezifisch, dass kein Modell hierfür Prognosen erstellen kann!“
Der Spruch „Perfekt ist der Feind von Gut“ trifft selten so zu wie für Prognosen. Wenn ich Unternehmen den Einsatz von rechnerischen Prognosemodellen vorschlage, ist die Antwort oft: „Das wird nichts. Für Kampagnen fehlen uns zum Beispiel Angaben darüber, was unsere Konkurrenten zur gleichen Zeit machen. Weiterhin liegen keine Angaben zu Warenpräsentation und Kundenfeedback vor. Auch das Wetter wirkt sich auf die Ergebnisse aus.“ Erwägt man die Anschaffung von Prognosewerkzeugen, reicht nicht aus, dass das Werkzeug die Arbeit des Prognoseerstellers oder die Prognosegenauigkeit verbessert. Das System soll rundum perfekt sein oder man kann darauf verzichten. Deshalb wenden Großkundenbetreuer, eine der wichtigsten Ressourcen eines Unternehmens, lieber monatlich unnötig viel Zeit für routinemäßige Aktualisierung von Prognosen auf.
Für die Erstellung von Prognosen für abnehmende, zunehmende oder saisonalbedingte Produktnachfrage gibt es effiziente und getestete Modelle, die nicht immer und in jeder Situation das perfekte Ergebnis liefern, die aber eine gute grundlegende Einschätzung der Situation bieten und diese wenn nötig wöchentlich oder täglich aktualisieren und objektiv prüfen, ohne eine emotionale Bindung zum Produkt zu entwickeln. Wer von uns kann das von sich behaupten?
Seltsamerweise bieten rechnerische Modelle auch dann Vorteile, wenn Expertenprognosen zuverlässiger sind. Es liegen positive Erfahrungen zu Kampagnenprognosen anhand des Regressionsmodells (Vergleich mit früheren entsprechenden Kampagnen) vor. Auch in anspruchsvollen Situationen bieten rechnerische Modelle hohen Nutzen, z. B. während des Weihnachtsgeschäfts im Buchhandel, wo der Absatz explosiv steigt und das Sortiment fast vollständig von einem Jahr zum anderen ausgewechselt wird. (Wie, darauf kommen wir in einem anderen Artikel zurück.)
Genug der Erklärungen, jetzt muss gehandelt werden!
Ich versuche, Folgendes zu sagen:
- Verkaufsprognosen wirken sich direkt auf das von den Kunden empfundene Serviceniveau und die Wirtschaftlichkeit des Kundengeschäfts aus.
- Verkaufsprognosen schaffen die Voraussetzungen für einen rentablen Verkauf und sind ein wesentlicher Bestandteil einer kompetenten Verkaufsplanung.
- Verkaufsprognosen sind einfacher zu erstellen als allgemein angenommen. Was sollten Sie an dieser Stelle überlegen: „Kann es sich mein Unternehmen leisten, das Prognosewesen nicht zu entwickeln?“