Dies ist der dritte Teil unserer Beitragsreihe zu „Living Retail“. Im zweiten Teil beschäftigten wir uns mit einer der treibenden Kräfte, die diese neue Handelsdynamik charakterisieren – der Machtverschiebung in Richtung Verbraucher. Ein weiterer, eng damit zusammenhängender Faktor ist der rapide verlaufende demografische Trend der Urbanisierung, den wir nun näher betrachten.
Im Einzelhandel dreht sich alles um uns Menschen: um unsere Bedürfnisse, unsere Wünsche und darum, wo und wie wir leben. Deshalb sind Handelsinnovationen auch immer Spiegelbild demografischer Trends. Nach ihnen müssen sich Unternehmen richten, die wettbewerbsfähig bleiben wollen.
Nehmen wir als Beispiel den Handelskonzern Sears, die berühmte amerikanische Kaufhauskette, deren Erfolgsgeschichte das gesamte 20. Jahrhundert umspannte. Ähnlich wie weite Teile Europas erlebten die USA in den zwanziger Jahren einen rasanten Aufschwung der Industrialisierung: Aus der durch Landwirtschaft geprägten Provinz zog es die Menschen in die Städte, in denen sie Arbeit in den Fabriken fanden. Erstmals lebten mehr Amerikaner in der Stadt als auf dem Land.
Wie reagierte Sears auf die veränderten Lebensgewohnheiten und -bedürfnisse, die neu aufkommenden Verhaltensmuster und die damit verbundenen Kundenerwartungen? Die Sears-Kaufhäuser wurden unter zwei Gesichtspunkten konzipiert: Erstens sollten sie Anwohnern eine bequeme Einkaufsmöglichkeit bieten. Zugleich sollten sie Kunden von weiter weg in die Zentren amerikanischer Metropolen locken – sie waren also auch als Anziehungspunkt für das besondere Einkaufserlebnis gedacht. Als in den fünfziger und sechziger Jahren große Teile der Bevölkerung in die Vorstädte zogen, verlagerte auch Sears seinen Fokus auf die Shopping Malls, die dort aus dem Boden sprossen.
Wo wohnen Shopper heute? Und morgen?
Noch vor wenigen Jahrzehnten waren Shopping Malls beliebte Anziehungspunkte – heute kämpfen viele ums Überleben. Neben veränderten Einkaufsgewohnheiten ist auch eine weitere demografische Verlagerung für das Kaufhaussterben verantwortlich: diesmal heißt es „raus aus den Vororten, zurück in die Stadt“.
Besonders stark ausgeprägt ist dieser Trend bei der Generation Y, den sogenannten Millennials. Forscher haben herausgefunden, dass zwei Drittel der zwischen 25 und 34 Jahre alten US-Amerikaner, die einen Bachelorabschluss besitzen, in städtischen Ballungsräumen mit mindestens einer Million Einwohnern leben (Cervero, Guerra & Al (2017): Beyond Mobility: Planning Cities for People and Places). Auch ohne diese Einschränkungen bezüglich Alter und Bildung zeichnet sich ein weltweiter Trend zur Urbanisierung ab. Und dieser wird sich dramatisch zuspitzen: Zwischen 2014 und 2050 wird sich die Anzahl der Stadtbewohner voraussichtlich von 54 Prozent auf 66 Prozent der Weltbevölkerung erhöhen (ebd.).
Bis 2025 werden Städter für rund 20 Billionen US-Dollar der jährlichen Weltwirtschaft verantwortlich sein. Einzelhändler müssen auf die Bedürfnisse und Prioritäten dieser Shopper eingehen und die in den Städten konzentrierte Kaufkraft berücksichtigen.
Bis 2025 werden Städter für rund 20 Billionen US-Dollar der jährlichen Weltwirtschaft verantwortlich sein. Der Handel richtet sich nach den Menschen: Deshalb müssen Einzelhändler, die auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, auf die Bedürfnisse und Prioritäten dieser Shopper eingehen und die in den Städten konzentrierte Kaufkraft berücksichtigen.
Wie wirkt sich die Urbanisierung auf Einzelhändler aus?
Können Händler aus der Geschichte lernen und auf die heute stattfindende Landflucht reagieren, indem sie die Strategien der zwanziger Jahre hervorkramen? Wohl kaum. Zum einen lässt sich die Wirtschaft von damals nicht mit der heutigen vergleichen. Zum anderen sind die Veränderungen – eigentlich ein altbekanntes Phänomen für Händler – komplexer geworden und laufen heute viel schneller ab.
Im vorigen Teil dieser Serie warfen wir einen Blick auf den technologischen Fortschritt der letzten Jahre und die damit einhergegangene Machtverschiebung vom Händler hin zum Verbraucher. Sowohl diese Machtverschiebung als auch die Urbanisierung hängen zum Teil mit einer Veränderung des Lebensstils und seiner Prioritäten zusammen: weg von der Weitläufigkeit und dem langsameren Tempo des Lebens in der Vorstadt oder auf dem Land hin zur guten Anbindung und Unmittelbarkeit der Stadt.
Insbesondere Millenials zeigen in Städten ein völlig neues Kaufverhalten. Größere Anschaffungen schieben sie oft lange hinaus oder meiden sie völlig. Traditionelle Übergangsriten ins Erwachsenenleben wie der Hauskauf oder die Gründung einer Familie werden zugunsten von Erlebnissen wie großen Reisen hinausgezögert. Wenn Millennials Käufe tätigen, setzen sie ungerne auf billige Massenware, sondern geben Produkten den Vorzug, die stark auf ihre Bedürfnisse angepasst sind und nachhaltig produziert wurden. Geht es um das Einkaufserlebnis, ist ihnen Bequemlichkeit am wichtigsten – so stehen beispielsweise Kochboxen im Stil von HelloFresh hoch im Kurs.
Unabhängig vom Alter sind die vom technologischen Fortschritt angetriebenen Trends bei städtischen Shoppern besonders ausgeprägt. Sie erwarten gute Anbindung, eine breite Angebotspalette, hohe Verfügbarkeit, eine nahtlose Omnichannel-Erfahrung und Lieferungen spätestens innerhalb von zwei Tagen – oder besser noch heute. Mit der Bevölkerungsexplosion in den Städten wächst auch der Druck auf die Supply-Chains des Einzelhandels.
Die stadtgerechte Supply-Chain ist autonom und anpassungsfähig
Selbstverständlich profitieren Kunden von Optionsvielfalt und schnelleren Lieferungen. Die zur Befriedigung dieser Erwartungen benötigte Lagerfläche ist jedoch in der Stadt viel teurer als abseits der Ballungsgebiete. Aufgrund dieser Problematik nutzen Unternehmen wie Walmart und Target ihre bestehenden stationären Filialen als Fulfillment-Center für Onlineverkäufe.
Soll eine anspruchsvolle Kundenbasis bedient werden, die sich in teuren Innenstädten konzentriert, ergeben sich noch weitere Herausforderungen – eine grundsätzliche Neuausrichtung der Supply-Chain-Strategie ist erforderlich. Einzelhändler sind auf Technologien angewiesen, die ihre Planungsprozesse autonom und extrem anpassungsfähig werden lassen.
Aufgrund der zunehmenden Herausforderungen, die die Verstädterung und die wachsende Macht der Verbraucher an sie stellen, müssen Händler in der Lage sein, Prognose- und Dispositionsentscheidungen zu automatisieren. Viele Supply-Chain-Planer schlagen sich unnötigerweise mit diesen zeitraubenden, repetitiven und manuellen Arbeiten herum. Moderne Software für die Handelsoptimierung automatisiert die Entscheidungen nicht nur – sie kann sie dank pragmatischer KI auch signifikant verbessern. Einzelhändler mit autonomen Supply-Chains gelangen schneller zu besseren Entscheidungen. Gleichzeitig verschaffen sie ihren Supply-Chain-Experten die nötige Zeit, sich direkt den schwierigsten Herausforderungen zu widmen – zum Beispiel der Entwicklung eines Fulfillment-Modells, das ihre Geschäftsstrategie am besten unterstützt.
Die Software, die diese Autonomie ermöglicht, muss die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens und dessen Belastbarkeit angesichts künftiger Veränderungen stärken. Unser Ansatz lautet „Konfigurieren statt Programmieren“ und erlaubt Händlern, Experimente und Innovationen zu wagen, ohne viel Zeit oder Geld zu investieren. Wir haben unsere Software bewusst mit dieser Fähigkeit ausgestattet: Wir wissen, dass Händler nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie ihre Lieferkette an wechselnde Bedingungen anpassen können – in der gleichen Geschwindigkeit, in der sich Veränderungen heutzutage vollziehen.
Mit einer autonomen und anpassungsfähigen Supply-Chain sind Einzelhändler besser aufgestellt, um den wachsenden Anforderungen der Verbraucher gerecht zu werden. Denn wer kann schon sagen, welche Trends es in einigen Jahren zu bedienen gilt?