Skaleneffekte haben dazu geführt, dass Einzelhandelsunternehmen immer größer werden. Viele Händler managen heute Zehntausende von Produkten, die sie von Hunderten Lieferanten beziehen und an Tausende Filialen und somit letztendlich an Millionen von Verbrauchern liefern. Als wäre die Herausforderung noch nicht groß genug, müssen sie kontinuierlich ihre Sortimente aktualisieren, Kampagnen fahren und ihre Filialen und Onlinekanäle auffrischen, um in den Augen ihrer Kunden relevant zu bleiben.
Wie in vielen anderen Branchen auch wurde im Einzelhandel versucht, diese Komplexität durch das Abgrenzen separater Funktionsbereiche zu meistern: Merchandising, Supply-Chain, Operations und Vertrieb verfügen jeweils über spezialisierte Teams, von denen jedes einen Teil eines komplizierten Betriebsablaufes durchführt. Um Pläne und bevorstehende Änderungen zu besprechen und eine Abstimmung zwischen den Teams zu gewährleisten, verlassen sie sich häufig auf funktionsübergreifende Meetings zwischen Sales & Operations Planning (S&OP) und Sales & Operations Execution (S&OE).
Das funktioniert recht gut, solange erstens ein klares Verständnis darüber herrscht, wie die Entscheidungen der einen Funktion sich auf andere Funktionen auswirken und es zweitens einen eindeutigen Planungstakt gibt, wie etwa ein jährlicher Budgetplanungsprozess oder eine vierteljährliche Sortimentsüberprüfung. Doch was passiert, wenn ein in Silos denkendes Unternehmen plötzlich mit Störungen konfrontiert wird, die alle Funktionen gleichzeitig beeinflussen und die verschiedenen Teams dazu zwingen, ihren gewohnten Planungstakt aufzugeben und spontane Entscheidungen zu treffen?
Die Anpassungsfähigkeit des Einzelhandels steht auf dem Prüfstand
Die Fähigkeit, sich schnell anzupassen, ist im Einzelhandel ausgiebig auf die Probe gestellt worden. In den letzten zehn Jahren haben Händler ihr Angebot von zusätzlichen Onlinekanälen hin zu echtem Omnichannel ausgebaut und bieten ihren Kunden so eine breite Palette schneller, bequemer und günstiger Fulfillment-Optionen.
Gleichzeitig liefern sie sich ein technologisches Wettrüsten mit kontaktlosem Bezahlen, Filialrobotern, Mikrofulfillment-Centern, vollautomatischen Verteilzentren und Drohnenlieferungen – alles Dinge, die noch vor zehn Jahren nach Science-Fiction klangen.
Da Supply-Chains immer schlanker und globaler werden, ist der Handel jedoch viel empfindlicher gegenüber externen Erschütterungen geworden – zum Beispiel Naturkatastrophen, Handelskriege oder die derzeitige Coronapandemie.
Nicht alle Einzelhändler haben diese Entwicklungen unbeschadet überstanden. Manche gingen in Konkurs, andere wurden von erfolgreicheren Wettbewerbern übernommen und wieder andere versinken zunehmend in der Bedeutungslosigkeit, weil ihre Kundenbasis schwindet. Diese Händler konnten sich nicht erfolgreich an den Wandel im Handel anpassen.
Doch wie bewältigen Unternehmen die dem Handel innewohnende Komplexität, stellen gleichzeitig Effizienz sicher und passen sich schnell an die Änderungen des Marktes an?
Schneller und anpassungsfähiger: Der Handel braucht ein gut verknüpftes Nervensystem
Machen wir einen kurzen Exkurs in die Biologie: Haben Sie sich schon einmal gefragt, was passiert, wenn wir stolpern und kurz davor sind, zu fallen? Meistens schafft es der Körper durch ein komplexes Zusammenwirken von Armen, Beinen und Rumpf, den Sturz zu verhindern. An den genauen Bewegungsablauf dabei erinnern wir uns hinterher meist nicht.
Warum ist das so? Neben dem zentralen Nervensystem, das aus Gehirn und Rückenmark besteht und für bewusste Reaktionen wie zum Beispiel schneller gehen oder klatschen verantwortlich ist, verfügt der Mensch auch über das periphere und autonome Nervensystem. Diese führen verschiedene Aktivitäten aus, ohne dass wir es bemerken. Sie laufen also unbewusst ab. Das autonome Nervensystem sammelt sensorische Daten und leitet sie weiter, reguliert zum Beispiel lebenswichtige Funktionen wie die Atmung und löst Reflexe als Reaktion auf externe Reize aus. Die Verarbeitung von Informationen findet aber im zentralen Nervensystem statt, weshalb eine starre Abgrenzung der Systeme nicht sinnvoll ist und sie eng miteinander verbunden sind, um für beste Funktionalität zu sorgen.
Ebenso wie der menschliche Körper verbinden auch Gewinner im Handel eine wohlerwogene Planung mit Technologie für Automatisierung und Vernetzung. Sie verlassen sich auf menschliche Experten für strategisches und kreatives Denken, das Definieren von Geschäftsprioritäten und für die Anwendung der richtigen Taktik – und setzen KI-betriebene, integrierte Planungstechnologie ein, um ein Einzelhandels-„Nervensystem“ in Gang zu setzen, das:
- kontinuierlich in großem Stil Daten über Absatz, Bestand, Warenbewegungen, externe Faktoren (wie Wetter oder lokale Events), Business-Pläne sowie Ressourcen und Kapazitäten in der gesamten Supply-Chain sammelt,
- diese Rohdaten in verwertbare Informationen über das Geschehen übersetzt und ihren Einfluss auf alle Geschäftsbereiche kalkuliert,
- Pläne und Geschäftsprioritäten wirksam funktionsübergreifend implementiert,
- Kernprozesse wie Prognostizierung und Disposition automatisch optimiert und ausführt,
- Störungen autonom managt, beispielsweise durch proaktives Vorziehen von Bestellungen, um Kapazitätsengpässe durch Ausgleichen der Warenflüsse vorzubeugen.
Durch die Kombination von menschlicher Expertise mit modernster Planungs- und Optimierungstechnologie arbeiten Händler innovativ und passen sich an Marktänderungen an, während sie eine effektive Umsetzung sicherstellen.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Die Drogeriemarktkette Rossmann setzt auf technologische Unterstützung für ihr Supply-Chain-Planungsteam: Diese erlaubt den Experten ihr umfangreiches Fachwissen in großem Maßstab anzuwenden. So hat Rossmann beispielsweise eine 100-prozentige Automationsrate beim Fulfillment der Filialen erreicht und nutzt automatische Prognostizierung und Disposition für 35 Millionen Produktstandorte.
Rossmann erlebte enorme Veränderungen durch die COVID-19-Pandemie: Es kam zu starken Absatzspitzen und veränderten Mustern in der Kundennachfrage. Durch den Einsatz der Supply-Chain-Software war das Expertenteam in der Lage, sich an die nie dagewesenen Marktveränderungen anzupassen und gleichzeitig hocheffizient zu bleiben. „Mit dem Einsatz von RELEX im gesamten Unternehmen konnten wir erfolgreich durch die Coronakrise navigieren, die einzelnen Filialen unterstützen und unseren Kunden auch in dieser außergewöhnlichen Phase der Nachfrageverschiebung ein hohes Serviceniveau bieten“, erklärt Jürgen Mattulke, Leiter Bestandsmanagement bei Rossmann, in einer aktuellen Fallstudie.
Der Einzelhandel ist ein hartes Geschäft – das gilt aktuell mehr denn je. Dennoch fällt es schwer, angesichts der Fülle von Möglichkeiten, die KI und großformatige Datennutzung bieten, keine Begeisterung zu empfinden.
Dieser Blogpost wurde von Bob Hetus Überlegungen zu KI im Geschäftskontext (AI can be the nervous system of business) und Thomas O’Connors Webinar „Position Your Supply Chain as the Nervous System of Business to Drive Success“ inspiriert.